Wir reden heute nicht über Arbeit und Produktivität. Heute befassen wir uns einmal damit, wie es wäre, wenn wir mal was ganz anderes tun würden: Nämlich NICHTS! Sprechen wir über das Nichts-Tun, über die wichtige Entspannung, die den Phasen der intensiven Anspannungen folgen sollte. Oder hat Nichts-Tun doch mehr mit Produktivität zu tun, als wir glauben?
In einem Projekt Vollgas geben, ist wichtig, um Dinge ins Ziel zu bringen.
Genauso wichtig ist es aber auch, nach jeder Höchstleistung eine Phase der Regeneration einzuplanen.
Wer immer nur auf Leistung geht und sich zu wenig Erholung vergönnt, wird leider bemerken müssen, dass statt besseren Ergebnissen und trotz höchster Anstrengung die Leistungskurve flacher wird, der Zenit erreicht oder gar überschritten ist, und die Ergebnisse in Wahrheit nach unten gehen.
Wer auch dieses Signal nicht erkennt und stattdessen die Schlagzahl – bei sinkender Effektivität wohlgemerkt – weiter erhöht, wird schnell ans Ende seiner Kräfte und Energiereserven kommen. Und nicht nur das: Sie oder er wird auch zunehmend frustrierter.
Spätestens jetzt wäre also eine kleine Auszeit angesagt, in schlimmeren Fällen eben eine größere. Jedenfalls ist ab hier die Nichtbeachtung fatal: Es kann es zu Müdigkeit, Lustlosigkeit, Demotivation – oder gar zu einem Burnout kommen. Endstation Depression!
Wie schnell das geht, davon können heute leider immer mehr Betroffene aus eigener Erfahrung berichten. Und dass Betroffene hier in zweifelhafter „guter Gesellschaft“ sind, zeigen erste Studien1 zum Thema. Im Schnitt sehen sich etwa ein Viertel der befragten Personen (Erwerbstätige zwischen 16 und 65 Jahren) als Burnout-gefährdet.
Insgesamt ist Österreich beim Mental Health Index der OECD gemeinsam mit Italien – ausgerechnet dem Land, das das Dolcefarniente „erfunden“ hat – das Schlusslicht der Vergleichsländer und weist die zweithöchste Suizidrate auf. Bis zum Jahr 2030 wird erwartet, dass sich die durch psychische Erkrankungen bedingten Kosten weltweit mehr als verdoppeln. Österreich weist im Ländervergleich die geringste Dichte an Fachärzt/innen für Psychiatrie auf.
Wie wichtig es ist, das Thema nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, eine gesunde Work-Life-Balance zu leben, wird leider viel zu sehr unterschätzt – der Weg zurück in die Normalität ist langwierig und schwer.
Wer ist also gefährdet?
Menschen wie Sie und ich, die immer daran gedacht haben, dass so etwas immer nur den Kollegen oder die Nachbarin trifft. Aber nie einen selber. Und dann sehen sie sich plötzlich nicht mehr in der Lage, die Schwelle zur Bürotür zu überschreiten, den Doppelklick zum Öffnen eines Programmes zu machen, um einen einfachen Brief zu schreiben – oder kommen nur mit höchster Anstrengung am Morgen aus dem Bett (nur um kurze Zeit später kraftlos und ohne Antrieb wieder genau dort zu landen).
Das ist auch deswegen so tückisch, weil diese Krankheit so schleichend verläuft. Die Medizin unterteilt den Verlauf von Burnout in zwölf Stufen2 – jemand der voll im Hamsterrad ist, bekommt erst frühestens nach Stufe 4 (Verdrängung von Konflikten und Bedürfnissen) einen ersten Verdacht, dass irgendwas nicht stimmt.
Eine persönliche Gefährdung für Burnout wird wahrscheinlich erst ab Stufe sieben (Rückzug) in Erwägung gezogen. Die meisten ziehen erst bei Stufe 10 (Innere Leere) die ersten Lehren und suchen professionelle Hilfe auf. Alarmstufe Rot!
Aber wofür wollen Sie sich denn so überfordern?
„Wenn das ganze Leben nur aus der Verwirklichung materieller Werte besteht, bleibt am Schluss auch nur eine materielle Bilanz übrig: Schön für die Erben.“ 3
Damit es aber erst gar nicht soweit kommt – und damit dieses Leben schön für Sie ist – wollen wir hier eine Lanze brechen für das Dolcefarniente. Weil es so wichtig ist, gleich noch einmal – ganz langsam, damit es jede Zelle unseres Körpers erfassen kann: Dolce-far-niente!
Den gesunden Müßiggang, der uns in unsere Mitte führt.
Denn erst in diesem Zustand können wir wieder beginnen, die Welt um uns so richtig wahrzunehmen. All das, was an wundervollen Dingen immer um uns herum ist – und wahr ist.
Probieren Sie es einfach mal aus: Legen Sie am Wochenende mal Ihr Handy und Ihren Laptop weg (sie können ja am Anfang auch mal mit einem Halbtag beginnen), schauen Sie nicht, wer auf Facebook postet und versäumen Sie bewusst unzählige Tweets. Ungewohnt – nicht wahr? Und wenn Sie sich jetzt fragen, was Sie stattdessen tun sollen – dann halten Sie schon den Schlüssel zur Lösung in der Hand: Was Ihnen einfällt! Geben Sie sich ruhig Zeit. Und dann noch etwas mehr…
Und dann folgen Sie Ihren Impulsen – und lassen Sie sich überraschen, wie anders diese Zeitspanne verläuft und was Sie dabei fühlen. Und wie es Ihnen anschließend geht.
Natürlich ist es auch hier wie bei allen Dingen im Leben: Neue Erfahrungen – so auch dieses Dolcefarniente – benötigen Wiederholungen! So wie wir in einer Tätigkeit oder einem Hobby immer dann merklich besser werden, wenn wir es nur regelmäßig und ausreichend oft wiederholen – also trainieren – so müssen wir das auch mit dem Nichts-Tun halten.
Bleiben Sie also dran: Tun Sie mal so richtig Nichts!
Ich mach es Ihnen gerne vor: Eigentlich habe ich noch so viele Aspekte, Quellen und Themen für diesen Blog.
Denn ein Blog ist ja erst richtig gut, wenn es mindestens xx Kapitel umfasst. Wenn es so richtig lange gebraucht hat, um das Thema in seiner Gesamtheit abzubilden und in seiner Komplexität abzuhandeln. Und natürlich erst dann, wenn man sich dafür so richtig abgemüht und wirklich hart gearbeitet hat – und, und, und.
Ein Freund schildert mir beispielsweise oft, er habe sich „das wieder mal so richtig aus den Rippen geschnitzt“. Ganz schön brutal, wenn man sich diese Redewendung mal bewusst auf der Zunge zergehen lässt!
Also – dann mach ich hier mal Schluss, bevor ich selber in die Falle tappe, den perfekten Blog zu schreiben (Stufe 1) und hier noch einige Stunden mit verstärktem Einsatz zu sitzen (Stufe 2).
Ich geh jetzt! Ich hol mir mal einen Kaffee. Und unterhalte mich mit meiner Familie. Und fahr dann vielleicht eine Runde mit dem Rad. Oder vielleicht kann ich heute mal meine Idee verwirklichen, eine Hängematte im Wald aufzuhängen und im Schatten ein Buch zu lesen.
Oder ich mach einfach gar nichts. Ich probier es einfach aus.
Liebe Leserin, lieber Leser, ich freue mich, wenn ich Sie auch zu ein bisschen Dolcefarniente inspirieren konnte. Ich freue mich, wenn Sie mir schreiben, wie es Ihnen dabei gegangen ist.
Und für die Ehrgeizigen unter Ihnen: Es ist voll okay, wenn Sie gleich auf Anhieb besser beim Dolcefarniente sind als ich. Vielleicht haben Sie einfach mehr Talent – ist doch schön!
Ich wünsche Ihnen schöne Stunden und viele wundervolle Überraschungen.
Tun Sie es! Jetzt!
Ihr
Gerald Wahl
1) Studie „Volkswirtschaftliche Analyse eines rechtzeitigen Erkennens von Burnout“
JKU, Johannes Kepler Universität Linz, 2013) http://download.opwz.com/wai/Studie_UNI_Linz_Burnout_Volkswirtschaft_041213.pdf
2) Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs, Bundesministerium für Gesundheit https://www.gesundheit.gv.at/Portal.Node/ghp/public/content/burnout-phasen-symptome.html
3) „Meine letzte Stunde“, Andreas Salcher, 2013, Goldmann Verlag
Jede Zelle meines Körpers ist glücklich
https://www.youtube.com/watch?v=ciwA3Mi7btA
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